Justin Bieber hat ein neues Album. Man hört: Der Mann ist jetzt tiefgläubig und verheiratet.
Justin Bieber hat Ärger mit Justice, weil Justice finden, er hätte „Justice“ von ihnen geklaut. Zur Erklärung: „Justice“ ist Justin Biebers neues Album, und Justice ist ein Duo aus Frankreich. Deren Trademark ist das T, das in ihrem Namen als Kreuz geschrieben wird – genau wie im Schriftzug auf Justin Biebers neuem Album.
Besagter Schriftzug sieht wirklich aus, als hätte er ihn von den Franzosen geklaut. Zumal sein Team im Vorfeld Kontakt mit deren Team aufgenommen hatte, das Ganze aber im Sande verlief. Aber seit Lana Del Rey „Creep“ von Radiohead nahezu Note für Note kopiert und es „Get Free“ genannt hat, hat man es eh aufgegeben, an die Gerechtigkeit zu glauben. Zumindest, wenn es um große Popstars geht. Aber ja, tut uns auch leid, dass Sie es so erfahren müssen: Es gibt ein neues Justin-Bieber-Album. Bieber hat sich ja schon vor einiger Zeit von seinem Skandalnudel-Image verabschiedet und ist jetzt tiefgläubig und verheiratet, was man dem Album auch anhört.
Die Songs klingen nach einem angestrengten Kampf gegen jedes Gefühl
Es geht viel um Justins Ehefrau und viel um Gott. Die Übergänge sind dabei fließend. „Holy“ zum Beispiel ist ein Song über Sex nach der Eheschließung. Über einen Hip-Hop-Beat und Augenblicke der Gospelexaltation säuselt der Sänger: „That the way you hold me, hold me, hold me, hold me, hold me / Feels so holy, holy, holy, holy, holy“. Ja, die Wiederholung ist akkurat wiedergegeben. Und weiter: „On God / Runnin‘ to the altar like a track star / Can’t wait another second“. Justin Bieber ist so horny, dass er so schnell wie möglich heiraten muss! Aber wen jetzt? „Unstable“ vertieft die Verwirrung eher noch: Er hat sich eindeutig danebenbenommen, aber es ist schwer auszumachen, ob jetzt Gott oder seine Frau sauer auf ihn ist, und mit wem von beiden er Sex will.
In der Mitte des Albums wird als Interlude eine Predigt eingeschoben, damit man gewappnet ist für die zweite Hälfte. Wenn man dann „Die for you“ hört, weiß man – die erbauliche Predigt war bitter nötig: Hallverwaberter Softrock, der so dermaßen nach Retorte klingt, dass es völlig absurd anmutet, wenn Bieber vom Sterben singt. Wo kein einziger Ton mehr lebendig wirkt, ist der Tod doch längst besiegt? In „Hold On“ singt er dann „We all make mistakes“. Leider hört man das nicht auf dem Album. Es ist eine musikalische Festung. Man würde über „Justice“ gerne sagen, dass es ein einziger gigantischer Fehler ist. Aber das wäre leider gelogen. Es ist die totale Fehlervermeidung.
Die Songs klingen bis in den letzten blitzblanken Winkel der klinischen Überproduktion hinein nach einem angestrengten Kampf gegen jedes Gefühl. Gerade wurde von israelischen Wissenschaftlern berichtet, denen es gelungen ist, Mäuseembryos in einer künstlichen Nährlösung heranreifen zu lassen. Falls Mäuseembryos und Justin Biebers Songs Seelen haben, werden sich beide ähnlich gottverlassen fühlen. „Off my face“ ist mit seiner Uuuh-uuuh-uuuh-Säuselorgie die mit groteskeste Karikatur eines Gefühls in einem Popsong, die man seit Langem gehört hat. Und Biebers Gejodel im letzten Song des Albums, „Lonely“, in dem er über die Last des frühen Ruhms und seine Abstürze singt, ist der Gipfelpunkt der plastinierten Tragik.
„Justice“ ist ein Hochsicherheitsgefängnis -getarnt als Kirche oder Liebesnest
Niemand verlangt von einem Popstar Natürlichkeit. Was auch immer man darunter versteht. Aber die Künstlichkeit eines Pop-Hits dient idealerweise dazu, ihn für möglichst viele Menschen durchlässig zu machen. Damit sie sich mit ihren kleinen, unteilbaren, einzigartigen Leben darin einrichten können. „Justice“ ist aber ein Hochsicherheitsgefängnis, das mit verschiedenen Kulissenfronten nach Bedarf als Kirche, Liebesnest oder vorbildliche psychotherapeutische Einrichtung getarnt wird.
Biebers Programm ist dabei angepasst an eine Zeit, in der Popmusik immer auch politisch sein muss. Auf Twitter demonstriert er, an wen er alles gespendet hat. Hashtag Justice. Die Weltrettung bleibt auf dem Album selbst aber so abstrakt, dass sie kaum auffällt. Es bewegt sich im engen Spektrum von Schmachthymne bis zum autobiografischen Problemsong über die Leiden des Popstars. In der Predigt, die er als Interlude gewählt hat, geht es um den Mut, sich für eine erhabene Idee zu verschwenden. Das hätte er sich vielleicht einfach mal zu Herzen nehmen sollen. Dann klappt es auch mit Gott. Oder seiner Frau. Falls sie ihm noch ein letztes Mal verzeihen können.